Essen baut ÖPNV aus – in Mülheim ist die Klimadiskussion wohl noch nicht angekommen …

Kennen Mülheims Ortspolitiker (SPD, CDU, Grüne) eigentlich keine Rote Linie? Geht die Klimadebatte, gehen die berechtigten Forderungen – nicht nur von FFF! – nach einem Ausbau CO2-armer/freier Mobilität – weg vom Motorisierten Individualverkehr (MIV) hin zu mehr ÖPNV – in ein Ohr rein und aus dem anderen wieder raus?
Da es “uns Essener” durch das Kooperationsmodell RUHRBAHN auch unmittelbar betrifft, mischen wir uns mal ausnahmsweise stadtübergreifend ein….

In diesen Zeiten, wo nahezu überall diskutiert wird, nachhaltige Mobilität attraktiver zu machen, derart massiv den Sparhammer an den öffentlichen Personennahverkehr, insbesondere die lokal emissionsfreie Straßenbahn anzusetzen, ist mehr als grotesk. Dies stellen auch Mülheimer Bürgerinitiativen auf ihrer Homepage dar.

Ob die Bürgerinnen und Bürger der Nachbarstadt sich an diesem Abwärtsstrudel beteiligen und die jungen Mülheimerinnen und Mülheimer, die sich in den letzten Wochen zusammen mit Hunderttausenden weltweit für weniger CO2 und für ein gesundes Klima einsetzen, das so hinnehmen werden unter dem Deckmantel der “breiten öffentlichen Diskussion” (siehe o.g. Fraktionen)? Da sind berechtigte Zweifel angebracht….

Sehr empfehlenswert dazu die Stellungnahme von PRO BAHN RUHR unter dem Titel “„Netz 23 schon im Ansatz falsches Konzept“

Auch die Lokalzeit Ruhr berichtete am Dienstag, 28.5. kritisch über die Vorgänge um den klimafreundlichen öffentlichen Personennahverkehr…



Nachtrag: 29.5.:

Heute kam von den Mülheimer Grünen ein Antwortschreiben auf eine private Nachfrage. Das geben wir hier im Wortlaut kommentarlos wieder:

bezüglich Ihres Einwandes zu Sparplänen im Mülheimer ÖPNV übermitteln wir Ihnen die folgenden Zeilen:

Vorab: Die betreffende Vorlage ist eine der Stadtverwaltung bzw. der Ruhrbahn und wird so vom Rat sicher nicht verabschiedet werden. Die Fraktionen in Verantwortung – und insbesondere wir – werden deutlich nachjustieren.

Warum aber sehen sich Grüne überhaupt genötigt, im städtischen Haushalt Einsparungen vorzunehmen?

Nun, Mülheim hat mit insgesamt zwei Milliarden Euro Schulden und damit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung im Ruhrgebiet eine enorme Last zu tragen. Die Gründe dafür liegen u.a. in nicht gedeckten Aufgabenübertragungen des Bundes an die Stadt, den immensen Zahlungen in den Solidarfonds Ost über mehrere Jahrzehnte hinweg (das zusammen macht nahezu drei Viertel der Schuldensumme aus), großen Investitionen in den Erhalt der Schulgebäude, aber auch hausgemachten Fehlern (z.B. s.u.), die wir Grüne zum allergrößten Teil nicht mitzuverantworten haben. Hinzu kommt: Die ehemalige Mülheimer Verkehrsgesellschaft (MVG) und nach der Fusion Ruhrbahn wies/weist mit 30 Millionen Euro pro Jahr das höchste Defizit pro Einwohner auf.

Die Stadt wurde in den ersten beiden Runden des NRW-Stärkungspaktes nicht berücksichtigt, weil der zu dieser Zeit maßlos überbewertete RWE-Aktienbesitz ein Vermögen auswies, das es de facto aber gar nicht gab. Erst in der dritten Runde kam sie mit deutlichen Sparauflagen zum Zuge. Es geht dabei um Fördermittel im Umfang von ca. 160.000.000 Euro über mehrere Jahre verteilt. Durch vorherige Sparbemühungen schien dieses Ziel erreichbar, bis die von ALDI-Süd zu leistende Gewerbesteuer wegbrach, weil der Konzern in der Stadt baulich expandiert, Arbeitsplätze schafft, aber damit vorerst nicht mehr steuerpflichtig (Gewerbesteuer) ist. Die Bezirksregierung entfachte Druck, die nun auf mittlere Sicht fehlenden 30 Millionen Euro einzusparen oder auf die zugesagten 160 Millionen Euro aus dem Stärkungspakt-Euro zu verzichten bzw. daraus folgend in absehbarer Zeit einem Regierungsbeauftragten das Regiment in der Stadt zu überlassen. Angesichts dessen herrscht in unsere Fraktion Einigkeit, Letzteres zu vermeiden und entsprechende Sparbemühungen zu unterstützen.

In dieser Situation stellte der Kämmerer auf Druck der Bezirksregierung Spar- bzw. Mehreinnahmevorschläge in folgenden Bereichen zur Auswahl: Grundsteuererhöhung, Kürzung beim städtischen Personal oder ÖPNV bzw. höhere Kita/OGS-Beiträge als auch Standardabsenkung. Ein punktuelles Bündnis aus SPD, CDU und uns[1] kam überein, den Kita/OGS-Bereich auszuklammern. Stattdessen wurde die Grundsteuer von 680 auf 890 Punkte erhöht, was bereits zu massiven Protesten führte. Stellenkürzungen bei der Stadt im Umfang von sechs Millionen Euro wurden ebenso beschlossen wie ein Sparbeitrag von sieben Millionen Euro beim ÖPNV.

Nunmehr liegt die Verwaltungsvorlage vor, die wie bereits gesagt nicht das Ende der Fahnenstange ist. Es wird noch deutliche Änderungen geben, aber das Sparziel von sieben Millionen Euro muss definitiv erreicht werden. Wir werden nach Wegen suchen, Einschränkungen im Angebot der Ruhrbahn durch intelligente Optimierung bzw. Einsparungen in anderen Bereichen der Ruhrbahn zu minimieren.

Sie können sicher verstehen, dass es uns als Grüne aufgrund unserer programmatischen Ausrichtung keinerlei Spaß macht, die Schere ausgerechnet an den ÖPNV zu legen. Wir müssen jedoch konstatieren, dass der in Mülheim sehr teuer, aber dennoch schlecht ist. Das erscheint uns nicht angemessen, weil es um Steuergelder geht, die leider ineffektiv eingesetzt werden. So gibt es beispielsweise Parallelverkehre mit Bus- und Straßenbahn, während bestimmte Wohnviertel eher abgeschnitten sind. Teilweise fahren Tram oder Bus mit viel zu wenigen Fahrgästen, als das dies noch effektiv zu nennen ist. Zudem ist der früheren MVG in den letzten Jahrzehnten durch mehrmalige Gutachten immer wieder bestätigt worden, dass sie im obersten Segment beim Personal einen teuren Verwaltungswasserkopf hat, der mit in die Ruhrbahn transferiert wurde.

Wir sind der Meinung, dass der ÖPNV in unserer Stadt flexibler und effektiver werden muss. Dabei ist nicht immer nur Geld, sondern oftmals viel eher Kreativität gefragt. Das versuchen wir so weit wie möglich umzusetzen. Wir werden deshalb in den nächsten Tagen entsprechende Vorschläge machen.

Vorab bereits hat der Mülheimer Kreisverband von Bündnis 90/Die Grünen folgende Erklärung verabschiedet:

Mit Beschluss vom 6. Dezember 2018 hat der Rat der Stadt Mülheim an der Ruhr den Haushalt 2019 mit den Stimmen von SPD, CDU und uns Grünen verabschiedet. Das Wegbrechen der Gewerbesteuer hat uns ein zusätzliches Haushaltsloch von ca. 30 Mio. Euro beschert. Um die dringend benötigten Mittel von insgesamt über 150 Mio. Euro aus dem Stärkungspakt zu erhalten, die dazu dienen, die Stadt langfristig aus der weiteren Verschuldung zu führen, mussten Gegenmaßnahmen zur Deckung der Finanzlücke ergriffen werden. Wir haben dazu die Grundsteuer von 640 % auf 890% angehoben. Weil wir eine Anhebung auf 1200 % vermeiden wollten, mussten wir weitere Maßnahmen ergreifen.
Wir haben uns darauf verständigt, 6 Mio. Euro im Personalbereich der Stadt einzusparen und das Defizit des ÖPNV, das bei über 30 Mio. Euro jährlich liegt, um 7 Mio. Euro zu verringern.
Bündnis 90/ Die Grünen haben diese Entscheidung mitgetragen und werden als verlässliche Größe an der Umsetzung des Beschlusses weiterhin mitwirken, dabei sind folgende Punkte zu beachten: 

  1. Mobilitätsgarantie: Niemand darf ohne Anschluss sein, insbesondere mobilitätseingeschränkte Menschen müssen ein Angebot erhalten, um ihre Ziele in Mülheim an der Ruhr und Umgebung zu erreichen.
  2. Anschlussgarantie: Niemand soll an der Stadtgrenze und innerstädtisch abgehängt werden, weil kein Anschluss existiert. Wir setzen uns für einen effizienteren Nachtverkehr ein (z.B. On Demand, siehe Punkt 5).
  3. Sinnvolle Direktverbindungen in die Nachbarstädte und bessere Verbindungen der Stadtteile untereinander anstatt alles über den Hauptbahnhof/die Innenstadt.
  4. Reduktion der Personalkosten, perspektivische Verschlankung der Führungsebene (Overhead) bei der Ruhrbahn
  5. Ausbau des „On Demand Verkehrs“ handhabbar und zuverlässig6.           Zügige Umsetzung des im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) festgelegten Ziels von vollständig barrierefreien Zustiegen an allen Haltestellen und Bahnhöfen
  6. Klimaziele erreichen und den CO2 Ausstoß durch innovative Antriebstechnologie verringern
  7. Vermeidung langer Umsteige- und Wartezeiten
  8. Intermodaler Verkehr: Förderung von Ausleihsystemen für Fahrräder und Autos als Ergänzung des ÖPNV
  9. Verbesserung des Anschlusses der Hochschule Ruhr-West

Wir als Mülheimer Grüne sind im Zwiespalt, einerseits das Beste für die Stadt herauszuholen, andererseits unsere programmatischen Positionen zu vertreten. Wir wissen, dass dies ein Drahtseilakt ist, sehen aber dazu keine Alternative. In Zeiten des Populismus gleich ob von rechts oder links als auch aus Prinzip wollen wir undogmatisch bzw. realpolitisch agieren und verlässlich bleiben. Wir haben im Mülheimer Rat reichlich Gruppierungen, die populistisch alles ablehnen, aber jeden Verbesserungsvorschlag ihrerseits vermissen lassen. Dies ist nicht unser Ding. Dass unsere Haltung Gegenwind auslöst, war abzusehen und überrascht uns nicht. Unser sehr gutes Mülheimer Wahlergebnis bei der Europawahl mi 23 Prozent als zweitstärkste Partei nur ein knappes Prozent hinter der CDU macht uns aber Mut. Viele unserer Wähler*innen verstehen offensichtlich, dass wir die Interessen unserer Stadt vor unser eigenes Wohl stellten und stellen.

Mittel- und langfristig, das ist klar, setzen wir weiterhin auf den Ausbau eines im Verhältnis zu den eingesetzten finanziellen Mitteln effektiven ÖPNV.

Dies zur Erklärung mit herzlichen Grüßen

Tim Giesbert                                           Franziska Krumwiede-Steiner
Fraktionssprecher                                    stv. Fraktionssprecherin

Kathrin Rose                                           Fabian Jaskolla
Kreisvorstandssprecherin                          Kreisvorstandssprecher

Mülheim an der Ruhr, 29. Mai 2019

 

 

 

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