„Ich habe den Eindruck, dass die Stadt Essen den RS1 nur benutzt hat, um Grüne Hauptstadt Europas zu werden.“

25% Radverkehr bis 2035 und der RS1 als Einstieg in eine neue Mobilität mit eigenem Imagefilm – das hörte sich auch im Vorfeld der Bewerbung zur europäischen Grünen Hauptstadt gut und werbewirksam an. Geschäftigkeit allüberall rund um die Rheinische Bahn ließ auch nie geahnte Hoffnungen aufkeimen: Bricht tatsächlich ein neues Zeitalter des Mobilitätsdenkens in Köpfen von Essener Verantwortlichen und Entscheidenden an?

Gastwirt Holger Kesting, Betreiber der “Radmosphäre” am Niederfeldsee  hat inzwischen wie viele andere seine Zweifel, sind doch auf Essener Gebiet die Aktivitäten mehr oder weniger zum Erliegen gekommen… die NRZ berichtete folgendes:

RS1: Gastronom sieht sich in Sackgasse

Der Inhaber des Radler-Bistros Radmosphäre am Niederfeldsee fühlt sich getäuscht, weil der Radschnellweg mindestens fünf Jahre später fertig wird als ursprünglich angekündigt

Holger Kesting, Inhaber des Bistros Radmosphäre am
                Niederfeldsee, beklagt die Verzögerung bei Planung und
                Bau des Radschnellwegs RS1. <b>Tassos</b>
                FFS
Die beiden Radfahrer kommen auf der vier Meter
                breiten Asphaltpiste voran. Rechts daneben und durch
                einen kleinen Streifen getrennt: der zwei Meter breite
                Fußgängerweg. <b>Kerstin Kokoska</b>
DIE BEIDEN RADFAHRER KOMMEN AUF DER VIER METER BREITEN ASPHALTPISTE VORAN. RECHTS DANEBEN UND DURCH EINEN KLEINEN STREIFEN GETRENNT: DER ZWEI METER BREITE FUSSGÄNGERWEG. KERSTIN KOKOSKA

Gerd Niewerth

Holger Kesting ist Inhaber des Bistros „Radmosphäre“ am Niederfeldsee in Altendorf. Wenn er aus den großen Fenstern seines Lokals schaut, blickt er auf den schmucken Radweg Rheinische Bahn: ein kleines Stück des Leuchtturmprojektes „Radschnellweg RS 1“. Aber seine Laune hebt sich dann nicht gerade. Denn den Gastronomen wurmt, dass die als Pionierprojekt angekündigte „Radautobahn“ durchs Revier gar nicht vorankommen will. „Von 101 geplanten Kilometern zwischen Duisburg und Dortmund sind gerade einmal zwölf teilweise fertig“, zieht er nüchtern Bilanz. Und fügt vorwurfsvoll hinzu: „Ich bin in der dritten Saison hier, in dieser langen Zeit sind lediglich 1200 Meter Strecke hinzugekommen.“

Als er das schicke Radfahrer-Lokal im Frühjahr 2017 eröffnete , klangen die Prognosen für den RS1 noch sehr euphorisch. Die klare Ansage, so Kesting, sei gewesen: 2020 werde der RS1 fertig sein. „Meine Entscheidung für diesen Laden hing maßgeblich an der zeitnahen Fertigstellung des Radschnellweges“, betont der 50-Jährige.

Als der ursprünglich zuständige Regionalverband Ruhr (RVR) 2014 die erste Machbarkeitsstudie für die Ost-West-Piste vorlegte, wurde mit Prognosen um sich geworfen, die im Nachhinein geradezu fahrlässig wirken.Inzwischen ist der Landesbetrieb Straßen.NRW zuständig für Planung und Bau des Schnellweges , der staugeplagte Autofahrer von der überfüllten A40 herunterholen und auf den Fahrradsattel locken soll.

Doch von der prognostizierten Fertigstellung 2020 redet dort niemand mehr. Der zuständige Projektleiter hat den Zeitrahmen kürzlich um mindestens ein halbes Jahrzehnt nach hinten verschoben. Seine Prognose gegenüber dieser Zeitung: Baurecht für alle RS1-Abschnitte frühestens 2025, komplette Fertigstellung zweite Hälfte der 2020er-Jahre.

Von der Hochschule Ruhr-West in Mülheim führt der RS1 seit Mai 2019 bis zum Univiertel: eine direkte, kreuzungsfreie Verbindung zweier Stadtzentren. Ein kurzes, aber vorzeigbares Teilstück. Doch gleich danach ist planungstechnisch ordentlich Sand im Getriebe.

Gastronom empfindet „große Enttäuschung“

Im Eltingviertel etwa ist unklar, wie es weitergeht: Wird der alte Bahndamm abgetragen? Wird der Radschnellweg dort tatsächlich mitten durch neue Häuser hindurch Richtung Osten führen? Und was ist mit der kritischen Passage bei Evonik Goldschmidt? Lauter offene Fragen. Kesting nimmt kein Blatt vor den Mund: „Ich habe den Eindruck, dass die Stadt Essen den RS1 nur benutzt hat, um Grüne Hauptstadt Europas zu werden.“

In der Sackgasse zu sitzen, nicht voranzukommen mit dem RS1, die lange Leitung der Planer – das alles empfindet Kesting als „große Enttäuschung“. „Das große Thema ist doch die neue Mobilität, raus aus dem Auto, rauf auf den Sattel.“ Seine Radmosphäre versteht er als Plattform für Radfahrer. Dienstags trifft sich hier der Radfahrerstammtisch, zusätzlich ist sie Servicestation, die Flickzeug, Radwanderkarten und Erste Hilfe anbietet.

Trotz heftiger Rückschläge denkt Kesting nicht daran, aus dem Biker-Bistro „Radmosphäre“ ein Allerwelts-Café am See zu machen oder gar den Standort aufzugeben. In Sachen RS1 hingegen bleibt er ausgesprochen pessimistisch: „Die 101 Kilometer möchte ich in meinem Leben gerne noch einmal fahren, aber ich glaube nicht mehr daran.“

RS1 auf Mülheimer Gebiet – geht doch! (Foto D.Schruck)

Das ZDF wird am 20.8. einen Bericht über die Radmosphäre und die bisher leeren Versprechungen der Essener Verkehrspolitik drehen.

Gerade in Zeiten der Klimadiskussion und um sich wenigstens den vom Rat beschlossenen Mobilitätszielen zu nähern braucht Essen den RS1 (und nicht nur den!) sofort in Richtung Osten! Und dazu muss der Bahndamm im Eltingviertel bleiben und vernünftig genutzt werden. Das ewige Ping-Pong-Spiel muss aufhören! (Verwaltung schlägt den Verantwortungsball zur DB, die zur Industrie, die zur Straßenverwaltung, die zur Politik, die zum Land, das ……

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