Alles top in Sachen Umwelt in Essen? Vor allem beim Radverkehr? Der Fahrradklimatest…

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# Rostige Speiche oder alles super in Essen?
# – Fahrradklimatest 2014 –
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6. Umfrage zur Fahrradfreundlichkeit in deutschen Städten

„Macht in Ihrer Stadt das Radfahren Spaß?“, „Werden im Winter die Rad­wege
geräumt?“, „Gibt es häufig Konflikte mit Fußgängern oder Autofah­rern?“ – diese
und andere Fragen stellt der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) jetzt im
Fahrradklima-Test 2014. Ab sofort können Radfahrer in ganz Deutschland auf
<http://www.fahrradklima-test.de> mitmachen und so Im­pulse für bessere
Radfahrbedingungen in ihrer Heimatstadt geben. Unter­stützt wird die zum
sechsten Mal durchgeführte Aktion durch das Bundes­verkehrsministerium.

1991 – also vor nunmehr 23 Jahren – ist die Stadt Essen von den damals befragten
Radlern derart schlecht bewertet worden, dass man auf dem letzten Platz landete
und die „Rostige Speiche“ verliehen bekam. Dem da­maligen Oberstadtdirektor Kurt
Busch wurde besagte „Auszeichnung“ von niemand geringerem als dem früheren
Bundesumweltminister Klaus Töpfer überreicht. Das extrem schlechte Abschneiden
Essens sorgte damals für bundesweites Aufsehen, so dass die Stadt sich
veranlasst sah, in Sachen Radverkehrspolitik eine Kehrtwende zu vollziehen.

1995 wurde ein gesamtstädtisches Radroutennetz beschlossen, welches allerdings
selbst nach fast 20 Jahren nur zu zwei Dritteln fertiggestellt ist. Vom damals
ebenfalls geplanten Ergänzungsnetz existieren bislang sogar nur rudimentäre
Abschnitte. Dennoch war man anfänglich sogar bundes­weit federführend bei der
Einrichtung von Fahrradstraßen oder bei der Auf­stellung von Fahrradboxen an
Bahnstationen. Zu den Erfolgsgeschichten gehören auch die zahlreichen für
gegenläufigen Radverkehr geöffneten Ein­bahnstraßen sowie die zu Radwegen
umgestalteten Bahntrassen, um die Essen oftmals bundesweit beneidet wird.

Weitere positive Errungenschaften sind die Radstation im Hauptbahnhof sowie die
zahlreichen rahmensichernden Fahrradständer, obgleich es ange­sichts des
riesigen Stadtgebiet hierbei immer noch weiße Flecken gibt. Ein Unding ist nach
wie vor die oftmals katastrophale Absicherung des Radver­kehrs bei Baustellen.
„Radfahrer absteigen!“ ist immer noch ein probates Mittel von Baufirmen, sich
hierbei billig aus der Affäre zu ziehen. Die Stadt hat zwar entsprechende
Regelungen verfügt, in der Praxis allerdings setzen sich die Baufirmen mit
großer Beharrlichkeit darüber hinweg. Auch der fak­tisch nicht vorhandene
Winterdienst auf Radwegen hat jahrelang zu den schwärzesten Kapiteln beim
Radverkehr in dieser Stadt gehört. Zwar hat man Besserung gelobt, der Praxistest
im vergangenen Winter fiel allerdings mangels Schnee aus.

Als besonders großes Manko kristallisiert sich gerade in jüngster Zeit die
starke Vernachlässigung des Radverkehrs im Alltagsbereich heraus. Spe­ziell bei
Elementen wie Radfahrstreifen und Schutzstreifen für Radfahrer im Straßenraum
bestehen die größten Defizite. Zwar ist auch hier in jüngster Zeit eine leichte
Besserung zu verzeichnen, wie die Anlegung von Radfahr­streifen bzw.
Schutzstreifen auf der Borbecker Straße und der Rodenseel­straße zeigen. Diese
Straßen stehen aber auch exemplarisch dafür, dass Umbaumaßnahmen zumeist nur
dann erfolgen, wenn Straßen erneuert oder umgebaut werden. Bei der dicht
befahrenen Frankenstraße in Relling­hausen hat man wiederum Schutzstreifen für
Radfahrer angelegt, die deut­lich zu schmal ausgefallen sind.

Besonders nachhaltig im negativen Sinn ist das aus Radlersicht völlig
ver­korkste Neubauprojekt Berthold-Beitz-Boulevard, bei dem man
fortschritt­liche Elemente wie Radfahrstreifen auf der Fahrbahn vergeblich
sucht. Selbst bei dem derzeit noch ausstehenden letzten Bauabschnitt zwischen
Frohnhauser Straße und Hans-Böckler-Straße (B 224) sind sie nicht vorge­sehen.
Zudem gibt es an jeder Kreuzung die für Radler wie Fußgänger ge­fährlichen
freigeführten Rechtsabbieger, die letztlich nur den Autofahrern nützen, damit
diese mit hoher Geschwindigkeit unabhängig von Ampeln abbiegen können. Der Bau
des Berthold-Beitz-Boulevards hat nichtzuletzt dazu geführt, dass der Radweg auf
der Rheinischen Bahn – immerhin Be­standteil des zukünftigen „Radschnellwegs
Ruhr“ – eine besonders gefährli­che Kreuzung mit dem Autoverkehr aufweist, weil
die hier absolut notwen­dige und eigentlich auch konkret vorgesehene Brücke
letztlich als zu teuer gewertet wurde.

Als verhalten positiv kann dagegen die Öffentlichkeitsarbeit angesehen werden.
Nachhaltigste Elemente sind beispielsweise der jährlich erschei­nende
Fahrrad-Kalender mit vielfältigen Tipps und Terminen rund ums Radfahren in
Essen, dann der Fahrradstadtplan, welcher erstmals gemein­sam mit der Stadt
Mülheim aufgelegt wurde und damit ein besonders gro­ßes Abbildungsgebiet
aufweist, und schließlich die vielen kleinen Sonder­karten, die speziell die
neuen Radrouten durch Grünbereiche aufzeigen – speziell in radtouristischer
Hinsicht ein wichtiger Aspekt. Besonders her­vorgehoben werden muss zudem die
von der Stadt Essen durchgeführte Aktion „Stadtradeln“, die das Radfahren als
wirksames Mittel zur Verbes­serung des Klimas in dieser Stadt propagieren soll.

Ob die Stadt Essen auch weiterhin die zunehmende Bedeutung des Rad­verkehrs im
Blickfeld hat, wird sich nicht nur daran messen lassen, ob bei den aktuell
anstehenden Etatberatungen ausreichend Mittel dafür im stä­dtischen Haushalt
bereit gestellt werden, sondern ob auch die personelle Ausstattung bei den mit
dem Radverkehr befassten Stadtämtern keine weiteren Einschnitte erfährt.
Immerhin ist Essen seit nunmehr 19 Jahren Mitglied in der „Arbeitgemeinschaft
fahrradfreundlicher Städte“ (AGFS), und justement in diesem Jahr steht die
Mitgliedschaft turnusmäßig auf dem Prüfstand. Die Entscheidung hierzu wird im
Dezember fallen. Knapp ge­scheitert ist Essen dagegen bei der Bewerbung zur
„Grünen Hauptstadt Europas“, trotz einer im Prinzip hervorragend aufgestellten
Präsentation. Speziell die Defizite beim Verkehr – wobei der Radverkehr eine
nicht un­erhebliche Rolle gespielt haben dürfte – haben zu dieser Entscheidung
geführt.

1988 hat es den ersten bundesweiten Fahrradklimatest des ADFC gegeben. Essen
verfehlte damals nur ganz knapp den letzten Platz. Die drei Jahre später
erfolgte Verleihung der „Rostigen Speiche“ dokumentierte wie er­wähnt den
absoluten Tiefpunkt in der städtischen Radverkehrspolitik, hat aber letztlich
auch zu einen Paradigmenwechsel geführt. Bis heute ist die­ser allerdings mit
vielen Dämpfern und Rückschlägen garniert. Und so wun­dert es nicht, dass sich
die Stadt bei den nachfolgenden Erhebungen nur sehr langsam im bundesweiten
Ranking hat steigern können. Lag die End­zensur 1991 – also im Jahr der
„Rostigen Speiche“ – noch bei 5,1, erreichte man bei der Befragung 2003 die Note
4,8, gemessen an dem langen Zeit­raum von 12 Jahren nur eine marginale
Verbesserung. Ursächlich war die wieder rückwärts gewandte Radverkehrspolitik,
welche die zu diesem Zeit­punkt in Essen tonangebende CDU/FDP-Koalition
eingeleitet hatte.

Nur zwei Jahre später gab es mit der Note 4,1 einen schon etwas deutli­cheren
Sprung nach vorne, nachdem das im Jahr zuvor gebildete schwarz-grüne Bündnis den
Radverkehr wieder verstärkt in den Focus gerückt hat­te. Zudem hatte im gleichen
Jahr die Stadt mit dem „Fahrradfrühling“ vor allem die PR-Arbeit für den
Radverkehr massiv intensiviert. Dass man sich letztlich bei der Umfrage 2012 nur
auf eine 4,0 als Note hat verbessern können, lag vor allem an der damals sehr
widersprüchlichen Behandlung des Radverkehrs, bei der z.B. die Position des
Fahrradbeauftragten zur Disposition gestellt wurde. Auch waren gerade beim
Alltags-Radverkehr etliche Jahre der Stagnation zu verzeichnen gewesen.

Bei der aktuell durchführten Umfrage zum Fahrradklima wird sich zeigen, ob
Essens Radler ihre Stadt in punkto Fahrradfreundlichkeit auf einem gu­ten Weg
sehen oder nicht. An Widersprüchlichkeiten mangelt es jedenfalls nicht.
Mitmachen können alle – egal ob sie nun gelegentlich oder regelmä­ßig mit dem
Fahrrad fahren, sei es mit dem Kind auf dem Weg zur Kita, auf dem Weg zur
Arbeit, zur Schule oder an die Uni, zum Einkaufen, zum Kaf­feeklatsch, zum Sport
oder bei der Wochenendtour.

Den 27 Fragen aufweisenden Erhebungsbogen kann man – wie anfänglich bereits
erwähnt – auf www.fahrradklima-test.de online ausfüllen oder aus­drucken, ist
aber beispielsweise auch beim ADFC-Essen im „Verkehrs- und Umweltzentrum“
erhältlich. Die Umfrage läuft bis zum 30. November 2014, die Ergebnisse werden
im Frühjahr 2015 der Öffentlichkeit vorgestellt.

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