Radfahrer nur eine kleine Gruppe? Radwegebau, “um Parkplätze zu vernichten”? Radfahrer betreiben militante Machtpolitik? Absurd!

Den Leserbrief von Frau Martina Uhls im Essener Lokalteil der NRZ zur “Radfahr-Lobby” vom Samstag, 1.10.11, sollte man an sich direkt ins Altpapier entsorgen, aber man kann dies so auch nicht einfach stehen lassen…

Nicht nur in den bekannt fahrradfreundlichen Niederlanden – die Topographie begünstigt dies zwar, der permanente Gegenwind hebt diesen Vorteil aber mehr als auf – setzt die öffentliche Hand verstärkt auf den Radverkehr im Nahbereich. Durch den enormen Boom an Pedelecs (führerschein- und versicherungsfreie Fahrräder mit Elektromotorunterstützung) geht man inzwischen statt von bisher 5 km nun von bis zu 15 km Radius für das Fahrrad im Alltags-/Berufsverkehr aus und plant und baut entsprechene Fahrradschnellstraßen. Die angesprochenen Bahntrassen in unserer Region vermitteln in etwa ein Bild davon – und werden ja auch hervorragend angenommen – von Freizeitradlern, aber auch vermehrt im Berufsverkehr.

Der Anteil der Alltagswege, die mit dem Fahrrad zurückgelegt werden, beträgt in Deutschland etwa 10%- Tendenz steigend. Übersicht Radverkehrsanteil in diversen Städten und Ländern.  Insbesondere in den Ballungsräumen erkennen immer mehr Menschen, dass das Auto ungeeignet ist und das Rad, insbesondere in Kombination mit Bus und Bahn (“Bike&Ride“) und bei Bedarf mit Carsharing das Verkehrsmittel der Wahl ist. Dabei spielen Klimaschutz und Gesundheitsaspekte für viele inzwischen nur eine untergeordnete Rolle. Im Mittelpunkt steht: Man ist einfach schneller!

Wer morgens mal über die Altendorfer Straße mit dem Auto in die Stadt fährt, weiß bald die neue Schnell-Trasse auf der ehemaligen Rheinischen Bahn zu schätzen – wenn da nicht der fehlende Lückschluss am BBB wäre! Die Kosten für eine Brücke sind im Vergleich zum glücklicherweise immer unwahrscheinlich werdenden Bau der brutalen A52 durch den Essener Norden verschwindend gering. Auch haben sich schon in Teilen einige Privat-Sponsoren gefunden. Die Forderung nach der Brücke ist also in der Tat “der Gipfel”, allerdings nicht in der diffamierenden Diktion der Autorin, sondern als Lückenschluss für einen komfortablen, gesunden, klima-, umwelt- und kundfreundlichen Weg vom Essener Westen in die Innenstadt.

Vollends ins Abseits manövriert sich die Autorin jedoch durch ihre Aussage, es würden “sinnlose Fahrradwege nur deswegen angelegt, um Parkplätze zu vernichten.” Gleiches gilt für die Aussage, die “Mehrheit sei es bald leid, dafür (gemeint ist der Bau von Radverkehrsanlagen; der webmaster) zu zahlen und die Beschädigung unserer Stadtteile hinzunehmen”

Auch die Fahrradverbände sind nicht über jeden neu angelegten Radweg glücklich. In Essen wird zwar inzwischen viel im Arbeitskreis Radverkehr abgesprochen, in der Vergangenheit gab es aber auch so manche Sünde der lokalen Verkehrsplaner, die auch nicht die Zustimmung der Radler fand.

Zum Thema Gemeinkosten gibt es eine interessante Diplomarbeit aus Österreich, deren Ergebnisse aber durchaus auf unsere Region übertragbar sind. Dort wird untersucht, wie sich die gesamtwirtschaftlichen Effekte (Kosten bzw. Nutzen) der beiden Verkehrsmittel Fahrrad und Pkw auswirken. Dazu werden verschiedene Indikatoren aus den drei Dimensionen der Nachhaltigkeit herangezogen: Gesundheitsnutzen, sowie Betriebs-, Reisezeit-, Infrastruktur-, Lärm-, Unfall-, Schadstoff- und Klimakosten.

Die Indikatoren haben die Einheit Euro-Cent pro gefahrenen Kilometer und bewerten die Effekte der beiden Verkehrsmittel monetär. Bei Betrachtung der aggregierten Indikatoren ergeben sich

Gesamtkosten von 1,55 ct/Fahrrad-km sowie ein externer Nutzen von 81,47 ct/Fahrrad-km.

Beim Pkw entstehen Gesamtkosten von 98,38 ct/Pkw-km und externe Kosten von 4,35 ct/Pkw-km.

Und was “diese sehr kleine Gruppe in der Bevölkerung” angeht: Nicht nur die exorbitanten Zuwachsraten von Metropolradruhr sprechen eine andere Sprache…

Liebe Frau Uhls! In unserer demokratisch aufgebauten Gesellschaft entscheiden gewählte Gremien mehrheitlich über die Vergabe von öffentlichen Geldern und nicht irgendwelche “kleinen Gruppen in der Bevölkerung”. Einzelpersonen und Verbände artikulieren Interessen und erreichen offensichtlich durch enormes persönliches Engagement – ich verweise hier insbesondere auf EFI/ADFC – und aufgrund der vorgetragenen Argumente die politischen Beschlussebenen. “Militant” und “Machtpolitik” sind da wohl völlig unangemessene Vokabeln. Wer bestimmte Entscheidungen “leid ist”, sollte sich ganzheitlich mit den Dingen auseinander setzen und/oder sich entsprechend politisch engagieren…

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